
Ob Venezuela, Namibia oder Kambodscha – es gibt Reiseführer für fast jedes Land der Welt. Doch heute gehen viele Urlauber nicht mehr in die Buchhandlung, sondern informieren sich online über Seiten wie Hostelworld, Yelp, Wikivoyage oder Tripadvisor über ihr Reiseziel. Erfahrungen und Tipps können kostenfrei weltweit gestreut und gelesen werden, Tendenz steigend. Dieser Trend hatte einen Einbruch der Umsatzzahlen von Reiseführern zur Folge: In Großbritannien und den USA büßten sie z.B. von 2006 bis 2013 über 40 Prozent ein. Weitere Gründe für die sinkende Nachfrage sind die Auswirkungen der globalen Finanzkrise sowie das veränderte Kaufverhalten durch das Internet.
Die Verlage haben die schwierigen Zeiten und den digitalen Wandel deutlich zu spüren bekommen – ein Neuanfang scheint unumgänglich geworden zu sein. Beispiel Lonely Planet: Nachdem sich BBC Worldwide zunächst erfolglos an einer Umstrukturierung versuchte, kaufte 2013 der US-Milliardär Brad Kelley den Verlag. Heute arbeitet Lonely Planet mit rund 200 freien Autoren, deren Informationen aus aller Welt für die Mehrfachverwertung verschiedener Verlagsprodukte ohne Zeitverzögerung aufbereitet werden, in Reiseführern, Apps oder dem Lonely Planet Traveller Magazin. Teil der neuen Strategie ist auch die Einbindung von rund 450 Bloggern für multimediale Inhalte auf der Website. Weitere Möglichkeiten sehen viele Verlage in alternativen Erlösmodellen, wie beispielsweise dem Verkauf von Lizenzen an Drittanbieter oder Verlinkungen in E-Books, die weiterführende Informationen bieten.
Geändert haben sich auch die Ansprüche von Urlaubern. Authentisch und individuell soll es sein und einen Einblick in das „echte“ Leben der Bewohner abseits der Touristenwege geben. Besonders gut zu erkennen ist das am Erfolg von Airbnb. Andere Bedürfnisse bringen neue Anforderungen an Reiseliteratur mit sich, weg vom Mainstream und hin zu ausgewählten, persönlichen Informationen. „Nectar & Pulse“ beispielsweise bietet individuell zusammenstellbare Reiseführer mit Tipps von sogenannten local soulmates, die geheime Ecken ihrer Städte präsentieren. Die Styleguide-Reihe von National Geographic setzt ebenfalls auf Tipps von Insidern: Die Autoren kennen „ihre Stadt“ durch und durch, führen Urlauber zu netten Cafés, besonderen Läden und außergewöhnlichen Locations. Wir haben mit Ellen Teschendorf, Autorin vom „styleguide Berlin: eat, shop, love it„, über das Konzept und ihre eigene Reiseplanung gesprochen. Gemeinsam mit Co-Autorin Petra Albert erstellte sie den Berlin-Reiseführer, der im Frühjahr 2014 erschien und dessen zweite Auflage für Anfang 2016 geplant ist.

# Was ist das Besondere an Ihrem Reiseführer?
Ellen Teschendorf: Wir erheben mit unserem Reiseführer keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er besteht vielmehr aus Empfehlungen von Dingen, die wir persönlich mögen. Bei unserer Auswahl musste immer das Gesamtpaket stimmen – in einem Restaurant beispielweise war uns nicht nur der Geschmack wichtig, sondern auch das Ambiente. Bei den Fotos haben wir großen Wert auf eine emotionale Ansprache gelegt. Aus einem netten Laden zeigen wir lieber kleine Ausschnitte und Details anstatt den gesamten Laden abzulichten, so möchten wir die Menschen neugierig machen auf das Gesamtwerk.
# An wen richtet sich Ihr Reiseführer?
Ellen Teschendorf: Er ist insbesondere für Touristen geeignet, die schon die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Berlin gesehen haben und für wenige Tage in der Hauptstadt sind. Von uns bekommen sie besondere Tipps für eine schöne Zeit. Aber auch für Berliner selbst ist der Reiseführer interessant, da sie andere Stadtteile kennenlernen. Die Zielgruppe ist breit angelegt, aber vom Gefühl her würde ich sagen, dass die meisten Käufer weiblich und zwischen 20 und 50 Jahren alt sind.
# Was ist Ihnen persönlich bei einem Reiseführer wichtig?
Ellen Teschendorf: Ich nutze für meine Reisen sowohl Reiseführer als auch Online-Angebote. Im Vorfeld besorge ich mir verschiedene Reiseführer und schreibe mir interessante Locations, Tipps und Highlights in mein Travelbook. Das begleitet mich dann auf die Reise, der Reiseführer selbst bleibt aber zuhause. Auch Blogs sind für mich eine wichtige Informationsquelle vor einem Urlaub. Wenn ich unterwegs bin, nutze ich gerne Apps, mit denen ich mich vor Ort orientieren kann.