Wenn die Zeit morgens auf dem Weg zur Arbeit knapp wird, ist jeder Berufstätige über zusätzlich nutzbare Minuten dankbar. Wie wäre das: Während der Pendler normalerweise im Stadtverkehr an jeder Ampel stoppen und aufmerksam den Verkehr beobachten muss, kann man sich im Fahrzeug entspannt zurücklehnen und noch den Terminkalender für den Tag durchgehen – ganz ohne einen Fahrer. Wunschdenken? Wer weiß. Autonomes Fahren lautet das Zukunftskonzept, das laut Befürwortern viele positive Aspekte wie ein hohes Maß an Sicherheit, eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur sowie eine ganz neue Art von Komfort bietet. Jedoch gibt es bei dem derzeitigen Stand der Entwicklung noch immer viele offene Fragen. Vor allem für die Kommunikationsbranche birgt dieses spannende Thema viel Potenzial.
Autonome Fahrzeuge sind dabei, die Geschäftsmodelle in der Mobilitätsindustrie massiv zu verändern. Vieles deutet darauf hin, dass in spätestens zehn Jahren Mobilitätsdienstleister wie beispielsweise Mietwagenunternehmen, Airlines oder auch der ÖPNV ihren Kunden selbstfahrende Autoflotten zur Verfügung stellen. Durch ein flächendeckendes Angebot und den daraus resultierenden Preisverfall könnte autonomes Fahren für die Menschen in Zukunft nahezu umsonst sein. Aber wie generieren die Unternehmen dann Gewinn? Das Zauberwort lautet wie so oft „persönliche Daten“: Wer nicht mehr selber fahren muss, konsumiert in dieser freien Zeit Inhalte und hinterlässt seine digitalen Spuren. In Deutschland geht diese Rechnung sehr gut auf: Hierzulande pendeln 60 Prozent der Berufstätigen zur Arbeit – ein Rekordhoch.
In dieser Zeit ließe sich etwa der Wocheneinkauf erledigen: Der Pendler bestellt sich ein autonomes Taxi von der Arbeit nach Hause. Dieses Taxi bietet während der Fahrt die Möglichkeit, bei verschiedenen Sponsoring-Partnern im Shop zu stöbern. Das kann eine Parfümerie, ein Online-Händler oder ein Supermarkt mit Lieferservice sein. Wenn der Fahrgast über einen bestimmten Mindestbestellwert einkauft, wird ihm die Taxifahrt bis vor die Haustür geschenkt. Ohne etwas zu kaufen, müsste sie bezahlt werden. So spart man sich den Supermarkt nach der Arbeit und der Anbieter weiß genau, was der Konsument eingekauft hat und für welche Kommunikationsmaßnahmen er das nächste Mal empfänglich ist.
In diesem neuen Wettbewerb werden innovative Geschäftsmodelle vonnöten sein, um sich zu positionieren. Gleichzeitig müssen sich Unternehmen auf neue Konkurrenz aus der IT- und High-Tech-Branche und viel kürzere Entwicklungszeiträume einstellen. Ganze Sektoren wie zum Beispiel Logistik, Versicherung oder auch öffentliche Stadtplanung könnten auf komplett neu strukturierte Geschäftsmodelle angewiesen sein: Ein Logistik-Unternehmer benötigt neue Mitarbeiter im IT-Bereich und keine Fahrer mehr, Versicherungen müssen Haftungsfragen neu kalkulieren und in Ballungsräumen werden anstatt neuer Parkplätze breitere Straßen benötigt. Durch autonomes Fahren werden auch Vertriebswege von Dienstleistern völlig neu definiert. Ist jemand auf dem Weg zur Arbeit oder zum Flughafen, kann er sich noch eben die Haare schneiden lassen oder mit dem Personal Trainer Sport machen. Das spart Zeit für den Kunden und der Anbieter der Dienstleistung ist in seinem Einsatzgebiet flexibel. Er braucht keinen festen Standort mehr und kann sich beispielsweise an Großereignissen wie Messen oder Fußballspielen – also am tatsächlichen Bedarf der Menschen – orientieren.
Nicht das Auto an sich ist in der Zukunft das Statussymbol, sondern das, was das Auto an Mehrwert bietet. Automobilhersteller müssen ihre Expertise um die Schnittstelle zwischen dem Fahrzeug und der Software erweitern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So hat beispielsweise Ford ein Entertainment-System zum Patent angemeldet, bei dem sich die Windschutzscheibe auf Knopfdruck zur Bildschirmleinwand für Serien und Filme wandelt. Während des Fahrens können dann Blockbuster und TV-Serien abgespielt werden. Selbst LeEco, die chinesische Version von Netflix, arbeitet aktuell an einem eigenen Elektroauto mit umfassendem Entertainment-Paket. Bereits 2018 soll das LeSEE auf den Markt kommen und irgendwann völlig kostenfrei für den Endverbraucher sein – finanziert allein durch den angebotenen Content. Dass selbst ein Streamingdienst auf den Trend des autonomen Fahrens aufspringt, zeigt, in welch enormem Tempo sich die Branche entwickelt.
Schlussendlich muss vor allem um das Vertrauen des Verbrauchers geworben werden. Immer wieder machen Unfälle mit autonomen Fahrzeugen Schlagzeilen; Meilensteine in der Entwicklung erreichen dagegen meist nur ein kleineres Publikum. Wenn eines Tages autonomes Fahren für den alltäglichen Straßenverkehr praktikabel ist, braucht es sicherlich umfangreiche Kommunikationskampagnen, um die Menschen zum Umdenken zu bewegen – sei es im Automobilsektor, in der Öffentlichkeitsarbeit von Politik und Behörden oder in der Kommunikation von Unternehmen, die ihre Inhalte dem Endverbraucher näher bringen wollen.
Und das nächste Level ist bereits in Sichtweite: Die Städte Singapur und Dubai planen, unbemannte, fliegende Drohnen für den Berufsverkehr einzusetzen. Damit möchte man dem Verkehrschaos in den Metropolen Herr werden, das zum Beispiel in Singapur bei 232 Fahrzeugen je Straßenkilometer eines der größten der Welt ist. Das Transportministerium dort verhandelt bereits mit möglichen Lieferanten wie Airbus über die Anforderungen an solche Flugtaxis, die 2030 im Rahmen eines neuen Mobilitätskonzeptes vorgestellt werden sollen. In Dubai absolvierte Ende September letzten Jahres das zweisitzige Lufttaxi des deutschen Herstellers Volocopter seinen Jungfernflug. Bald können wir also nicht nur die Hände vom Steuer nehmen und uns zurück lehnen – wir heben dabei auch noch ab.