Niemand hat sie gesehen und doch können alle irgendwie mitreden. Trash TV-Formate wie die Kultsendung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, besser bekannt als „Dschungelcamp“, sind aus der Fernsehbranche längst nicht mehr wegzudenken. Und nicht nur das: Mit den durchaus kontrovers diskutierten Shows erzielen Privatsender auch dann noch immense Zuschauerquoten, wenn der perfekt inszenierte Aufmerksamkeitskampf im australischen Regenwald in die 13. Runde geht.
Dass dieser Erfolg nicht ausschließlich damit erklärt werden kann, dass sich beispielsweise die Produzenten beim Recruiting neuer Dschungelkandidaten sichtlich Mühe zu geben scheinen, Jahr für Jahr noch unbekanntere „Promis“ für sich zu gewinnen, liegt dabei auf der Hand. Und auch die Zeit in der Trash TV als reines „Unterschichtenfernsehen“ diskreditiert wurde, scheint vorbei zu sein.
Auf Skandale und Tabuverletzungen zielendes Fernsehen hat die höheren Bildungsschichten schließlich längst als Zielgruppe für sich gewonnen. Und das bedeutet im Umkehrschluss: Unabhängig davon, ob der Bachelor am Strand von Mexiko gerade gewillt ist, sich Kokosschnaps-schlürfend von einer Dame seines Herzens bezirzen zu lassen, Modemama Heidi ihren „Mädchen“ die Angst vor Vogelspinnen nehmen möchte, oder man semi-prominente Dschungelanwärter dabei beobachten kann, wie sie vor laufender Kamera lebende Würmer herunterwürgen: Gerne zugeguckt wird überall. Und genau diese Möglichkeit bietet Trash TV.
Während vor Wut und Empörung schnaufende Gegner der Formate also vielleicht dazu verleitet sind, sich mit einer einfachen Korrelation zwischen Trash TV-Konsum und dem Bildungsstand des jeweiligen Rezipienten zu behelfen, scheint dieser Erklärungsansatz zu einfach und passt auch nicht zu den Einschaltquoten, die bei den aktuellsten Staffeln der Formate häufig explosionsartig in die Höhe schießen.
Laut AGF/GfK-Fernsehforschung und Media Control sahen zum Beispiel knapp 6 Millionen Zuschauer den Auftakt des Dschungelcamps 2019. Und auch insgesamt erzielt das „Dschungelcamp“ als Erfolgsformat regelmäßig Reichweiten von über 40% in der werberelevanten Zielgruppe der 14-49-Jährigen. Um die Analyse zur Beliebtheit von Trash TV also weder auf den Bildungsgrad der Konsumenten, noch auf den Wunsch, sich nach einem langen Arbeitstag einfach mal nur berieseln lassen zu wollen, zu reduzieren, führen Medienwissenschaftler als Erklärung insbesondere die Emotionen an, die Trash TV bei den Rezipienten hervorruft.
Eine Studie von Statista zur „Dschungelcamp“-Staffel 2018 hat zum Beispiel ergeben, dass ein Fünftel der Befragten die Show verfolgte, um sich über die Teilnehmer lustig zu machen. Damit besteht die Hauptmotivation vieler Zuschauer folglich nicht primär darin, sich spannende Dschungelprüfungen anzusehen, sondern in der einzigartigen Möglichkeit, soziale Interaktionen zu beobachten, ohne selbst Teil dieser zu sein, und sich über das Fehlverhalten der Kandidaten auszulassen. Andere wiederum entwickeln im Laufe der Sendung eher Sympathien für bestimmte Kandidaten und schalten gerade deswegen wieder ein.
Während man im realen Leben also am Nachbargarten vorbeischleichen müsste, um besser hören zu können, worüber dort eigentlich gestritten oder gelacht wird, bietet Trash TV ungestraften Voyeurismus („Big Brother is watching you“). Ein Mitfiebern mit dem persönlichen Lieblingskandidaten schließt dieser Aspekt, der sicherlich maßgeblich zum Erfolg der Shows beiträgt, natürlich trotzdem nicht aus. Ebenso wenig wie Beobachtungen zur Entwicklung der Akteure im Kontext einer skurrilen Gruppenkonstellation.
Anja Rünzel, Autorin des Buches „Trash TV“, findet es daher zum Beispiel problematisch, dass durch die Bezeichnung einer Sendung als „Trash“ immer auch ein gewisses Werturteil und eine Verurteilung derer, die sich die Show ansehen, mitschwingt. Mit ihrem Buch wagt sie nicht nur ein Plädoyer für das Genre, sondern macht auch darauf aufmerksam, dass man als Zuschauer durchaus etwas über das Leben lernen kann – und zwar immer dann, wenn man das Geschehen der Show mit einem differenzierten Blick betrachtet, anstatt nur den vorgegebenen Linien der Produzenten zu folgen.
Sollte man also einschalten, aus welcher Motivation das auch sein mag, gilt es beim Thema Trash TV noch für sich zu entscheiden, ob man das Ganze lieber allein genießen oder aber zum obligatorischen Kollektiverlebnis mit Freunden oder Arbeitskollegen erheben möchte.
In beiden Fällen garantiert die Entscheidung für ein trashiges TV-Format definitiv zwei Dinge: Perfekt inszenierte Banalität zur Prime Time, die nichts mit der eigenen Lebenswelt zu tun haben dürfte, und das Ausleben von Schadenfreude in einer sozial akzeptierten Form. Dabei ist dieses Ausleben laut Martin Teising, Präsident der „International Psychoanalytic University Berlin“, nicht auf das bloße Zuschauen und die dabei empfundene Überlegenheit gegenüber der Kandidaten beschränkt.
Denn: Formate wie das „Dschungelcamp“ bieten dem Zuschauer zusätzlich die Chance per Telefonanruf direkt in das Geschehen der Show einzugreifen und – nicht etwa nur zu entscheiden, wer im Camp bleiben darf – sondern wer stattdessen zu einer Prüfung antreten und sich somit für das Wohlbefinden der Gruppe „opfern“ muss.
Im Grunde genommen sorgt Trash TV also nicht nur für Themen, über die immer und überall gesprochen werden kann – sei es nun im Büro oder über Social Media-Plattformen – sondern spricht durch das gezielte Hervorrufen bestimmter Emotionen vor allem die Natur des Menschen an. Und während man über die im Trash TV fest verankerten Provokationen und Tabubrüche sicherlich diskutieren kann, zeigt der Erfolg des Genres gleichzeitig auch, dass genau dieses Prinzip seit jeher funktioniert hat. Beim Gladiatorenkamp im antiken Rom wie auch heute, wenn die Stars unserer Gegenwartskultur sich freiwillig ausliefern und wir ihnen dabei zuschauen dürfen. Ganz bequem. Vom Sofa aus.