Die EU-Urheberrechtsreform – Muss das Internet gerettet werden?

Selten hat eine anstehende EU-Reform so viel Aufmerksamkeit erhalten und Gemüter erhitzt, wie die anstehende EU-Urheberrechtsreform. Der Vorschlag einer neuen Reform stand bereits 2016 auf der Agenda; damals schien das Thema jedoch nur für Verlage und Medienleute relevant zu sein und schon gar nicht für jüngere Generationen. Mittlerweile, im Frühjahr 2019, sieht es jedoch vollkommen anders aus. Die Reform beruht auf einer der umstrittensten Entscheidungen der EU innerhalb der letzten Jahre und der nun jüngste Kompromissvorschlag zur Reform des europäischen Urheberrechts ist für viele Netzaktivisten untragbar. Die Debatte um die Verabschiedung der Reform gipfelt in zahlreichen Protesten auf den Straßen Europas, welche am 23. März gemeinsam stattfinden sollen. Ob die Reform wirklich kommt, erfahren wir frühestens Ende März, denn dann soll darüber – noch vor der nächsten Europawahl im Mai – entschieden werden.

Dreh- und Angelpunkt der Debatte bilden Artikel 11 und 13 der neuen Reform. Doch was steckt dahinter? Welche Regelungen lassen Kritiker von einer „Rettung des Internets“ und dem „Aufbruch ins unfreie Internet“ (Zeit.de) sprechen?

Artikel 11 regelt das sogenannte Leistungsschutzrecht. Dies soll künftig klären, welche Inhalte, von wem und in welcher Form geteilt werden dürfen. Das noch bestehende Urheberrecht bezieht sich z.B. nur auf ganze Artikel, Zitate dürfen in der Regel verwendet werden. Wer aber künftig mehr als einzelne Worte oder kurze Textabschnitte teilen möchte, der muss hierfür erst einmal die Lizenz erwerben. Titel, Text- und Linkvorschauen (da diese oftmals den Titel abbilden) sind davon ebenso betroffen und dürfen nicht wiedergegeben werden. Suchmaschinen wie Google stehen hier vor einem Problem. Diese sind ohne Lizenzen der Urheber nicht mehr berechtigt, die gefundenen Suchergebnisse sinnhaft abzubilden. Dies bringt mit großer Wahrscheinlichkeit den Nachteil mit sich, dass Nutzer, beispielsweise vor dem Anklicken eines Beitrages, kaum mehr erkennen können, worum es sich bei diesem Beitrag handelt. Anbieter bemängeln zudem, dass die Beiträge und Plattformen so an Reichweite verlieren und die bereitgestellten Medienangebote dadurch schwerer aufzufinden sind. Einen deutlichen Vorteil bietet das Leistungsschutzrecht jedoch gegenüber den Verlagen und Autoren, welche solche Beiträge generieren. Diese erhalten die Möglichkeit, fairer für ihre Arbeit entlohnt zu werden, da Internetgiganten wie Google über die Lizenzen verhandeln müssen. In diesem Zuge würden digitale Innovationen gefördert und das Medienangebot vielfältiger. Hieran hängen jedoch noch viele weitere Regelungen, beispielsweise das Recht der Bestimmung der Kosten für die Lizenzen. Man kann daher noch nicht mit Bestimmtheit sagen, wem dieses Gesetz Vor- und Nachteile bringen wird, ehe nicht alle zusammenhängenden Regelungen beschlossen sind.

Artikel 13 bezieht sich auf den Urheberschutz geschützter Werke. Songtexte, Filmausschnitte und Bildmaterialien sollen künftig nicht mehr auf einer Plattform erscheinen dürfen, solange der Betreiber nicht gewährleistet, dass keine Urheberrechtsverletzungen vorliegen. Die Verantwortung, die hierfür früher bei den Nutzern lag, wird nun auf die Betreiber der Plattformen übertragen. Das bedeutet, dass die Betreiber die Uploads (z.B. Musik auf YouTube, Bilder auf Facebook) auf Urheberrechtsverletzungen prüfen müssen und zwar noch bevor sie hochgeladen werden. Damit eine Plattform wie YouTube noch funktionieren kann, müssten diese im Voraus für all das Lizenzen erwerben, was die Nutzer posten könnten. Da dies jedoch erkennbar unmöglich ist, bietet sich die einfachere Option des Upload-Filters. Dieser steht wohlgemerkt nicht explizit im Gesetz, ist aber in aller Munde. Der Upload-Filter ist eine Software, die Beiträge beim Hochladen auf Urheberrechtsverletzungen prüft und wenn Zweifel bestehen, die Beiträge für den Upload sperrt. Gerade hierzu werden zahlreiche Bedenken laut: Kritiker erwarten, dass Plattformen, aufgrund der strengen Regelung, eher Uploads verweigern, um sich gar nicht erst strafbar machen zu können. Dadurch reduzieren sich folglich die frei verfügbaren Inhalte, was an eine Art der Zensur erinnern lässt und wodurch die Meinungs- und Informationsfreiheit eingeschränkt werden könnte. Zudem wäre es möglich, dass die Filter auch legale Inhalte blockieren, da Algorithmen den Unterschied zwischen Satirebeiträgen und Urheberrechtsverletzungen nicht wahrnehmen können. Denn Parodien, „Memes“ und ähnliches sind in der Regel weiterhin erlaubt und legal.

Das Ungewöhnliche an dieser Debatte ist nicht nur das große öffentliche Interesse, sondern auch, wer sich an diesem Diskurs beteiligt. Widmen sich Influencer normalerweise eher Lifestylethemen, wird gerade unter ihnen jetzt der politische Protest laut. Der Spiegel formuliert zugespitzt: „Die finale Abstimmung über die Reform im EU-Parlament dürfte […] Tausende Menschen vor dem Bildschirm versammeln, die sich sonst etwa Gamingvideos, aber sicher keine Parlaments-Livestreams anschauen.“ (Spiegel.de)

Allen voran rief Ende 2018 die YouTube-Chefin Susan Wojcicki „die Kreativen ihrer Plattform […] auf, „der Welt“ zu erzählen, wie die Reform sie betreffen würde.“ (Spiegel.de) Diesem Aufruf folgten viele bekannte YouTube-Stars, wie z.B. „Unge“ (ca. 2 Millionen Abonnenten) oder „Gronkh“ (ca. 4,8 Millionen Abonnenten) und berichteten in ihren Videos oder Twitter-Postings, unter dem Hashtag  #SaveYourInternet und #NoUploadfilter, über die unerwünschte Reform. Zusätzlich wurde die europaweite Kampagne „Stoppt die Zensurmaschine – Rettet das Internet“ ins Leben gerufen. Die Mit-Initiatoren Dominic Kis und Pascal Fouquet sammelten, ebenfalls von mehreren YouTube-Stars wie „LeFloid“ (ca. 3 Millionen Abonnenten) unterstützt, insgesamt über 4,7 Millionen Unterschriften für den Stopp der Artikel 11 und 13. Ob sich die zahlreichen Bemühungen, die Reform aufzuhalten, durchsetzen, wird sich zeigen. Sicher ist allerdings: Konsequenzen dieser Reform dürfte es für fast jeden geben.