Stell Dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin

Am 26. Mai ist Europawahl. Zum neunten Mal wählen die Bürger aller Mitgliedsstaaten ihre Vertreter ins EU-Parlament. Achtmal hat die Wahlbeteiligung in Deutschland abgenommen und lag 2014 mit 43,09 Prozent bei weniger als der Hälfte aller Wahlberechtigten der Bundesrepublik. Auch in vielen anderen EU-Staaten ist die Wahlbeteiligung alarmierend gering.

Viele Menschen interessieren sich nicht für die EU, weil sie keine Bezüge zum eigenen Alltag sehen, nicht genau wissen, wie die EU funktioniert oder gar wer sie vertritt. 45 Prozent der Deutschen kennen keinen einzigen der Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien.

Um einen weiteren Rückgang der Wahlbeteiligung zu verhindern, hat das EU-Parlament in diesem Jahr erstmals eine eigene Kampagne gestartet. Etwa sechs Monate vor der Wahl begannen die mehrstufigen Kommunikationsmaßnahmen, die auf Information, Aufklärung, Identifikation und Aktivierung setzen.

 Fakten – Basis für die Wahl

So ist auf der Website des EU-Parlaments ein breites Informationsangebot verfügbar. Hier finden Nutzer unter anderem Antworten auf die Fragen, wie sich die EU zusammensetzt, wie sie arbeitet und wie in den Mitgliedsstaaten gewählt werden kann.  Viele der Inhalte sind interaktiv gestaltet und werden zielgruppengerecht über alle Social Media Kanäle verbreitet. Außerdem gibt es eine Informations-App und sogar ein virtueller Rundgang durch das EU-Parlament ist mit Hilfe einer Virtual Reality Brille möglich.

Doch obwohl sich das EU-Parlament der gesamten Klaviatur an Kommunikationsmaßnahmen bedient, so steht es doch vor einer enormen Herausforderung: Die EU scheint für viele Wahlberechtigte alltagsfern und fremd. Wieso sollten sie sich also für Informationen darüber interessieren? Gleichzeitig muss die die Kommunikation des Parlaments neutral bleiben. Sie darf informieren und zur Teilnahme an der Wahl motivieren, diese aber in keinem Fall beeinflussen. Wie sollen die Beiträge unter diesen Voraussetzungen nicht in der täglichen Flut an Informationen untergehen?

Es gelingt: Die Kampagne schafft Relevanz durch räumliche und emotionale Nähe. So gibt es beispielsweise Informationen zu verschiedenen Maßnahmen der EU, die ihr Wirken in den Regionen und auch im konkreten Alltag der Menschen erlebbar machen; oder auch das Video „Choose your future“, in dem darum geht, wie wichtig es ist, die eigene Zukunft mitzugestalten – durch die Wahl.

So schafft es die Kampagne, Gehör zu finden – und schon sehen sich die Verantwortlichen mit dem Vorwurf konfrontiert, ihren Kompetenzbereich zu überschreiten. Es sei keine Informations-, sondern eine PR-Kampagne im Interesse der aktuell stärksten Vertreter im Parlament.

Informierst Du noch oder beeinflusst Du schon?

Stimmt das? Wenn Inhalte emotional aufgeladen werden, ist es oft eine Gratwanderung – die im Falle der EU-Kampagne aber ebenfalls gelingt. Die Beispiele zur Alltagsrelevanz der EU sind faktenbasiert. Sie gewinnen durch die entstehende Nähe zu den Lesern an Emotionalität. Auch das Video „Choose your future“ berührt. Aber es vermittelt ausschließlich, wie wichtig es ist Zukunft zu gestalten – nicht wie das geschehen soll.

An Stärke, Reichweite und vor allem an Richtung gewinnt die Kampagne, weil sie stark auf Aktivierung setzt. Deshalb ruft sie auf, mitzugestalten, schafft Raum für Dialog, Diskurs, Identifikation und Vernetzung. Ein Aufruf, dem mittlerweile mehr als 300.000 Freiwillige in allen Mitgliedsstaaten gefolgt sind. Die Teilnehmer dieser Graswurzelbewegung nehmen das Informationsangebot der Kampagne auf, machen es sich zu eigen und tragen es weiter. So wird aus der Informationskampagne des EU-Parlaments die Bürger-Kampagne „Diesmal wähle ich“.

Wie stark deren Einfluss ist, wird sich zeigen: am 26. Mai bei der Europawahl.